Merkmale einer guten PsychotherapeutIn
Als Professionist beschäftige ich mich eingehend mit der Frage, welche Merkmale PsychotherapeutInnen aufweisen, um konsistent gute Behandlungserfolge zu erzielen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass in wissenschaftlichen Studien wiederholt gezeigt werden konnte, dass die Persönlichkeitsmerkmale behandelnder Personen einen größeren Einfluss auf das Ergebnis haben als deren therapeutische Richtung. Insbesondere Ende der 90er-Jahre konstatierte ein US-amerikanischer Forscher, dass es PsychotherapeutInnen gibt, die konsistent bessere Erfolge aufweisen als andere; umgekehrt gebe es auch TherapeutInnen, die konsistent schlechte Erfolge aufwiesen und die sogar zur Symptomverstärkung beitragen können! Im weiteren Verlauf gebe ich Ihnen einen kurzen Überblick über die Eigenschaften, nach denen Sie bei der Wahl Ihrer TherapeutIn unbedingt Ausschau halten sollten, um den Therapie-Erfolg zu maximieren. Der folgende Blog-Eintrag basiert im Wesentlichen auf der Überblicksarbeit von Beutler, Machado und Neufeldt (1994).
Alter, Geschlecht und Herkunft der TherapeutIn
Kann man der Forschung glauben, brauchen Sie sich sich auf Ihrer Suche nach der passenden TherapeutIn bzgl. Alters, Geschlechts und ethnischer Herkunft keine Sorgen zu machen: Es gibt nämlich kaum Hinweise darauf, dass eine dieser drei Variablen einen signifikanten Einfluss auf Ihren Therapieerfolg hätte. Wenn überhaupt, dann sollte die TherapeutIn ungefähr in Ihrem Alter sein, mit einem Unterschied von plus minus zehn Jahren, aber auch hierfür gibt es kaum Belege.
Persönlichkeitsmerkmale, eigene Therapie sowie Werte und Einstellungen der TherapeutIn
Die Persönlichkeit der TherapeutIn spielt keine große Rolle für die Erfolgsaussicht. Eine Studie aus den 80ern zeigte, dass Sie wahrscheinlich einen besseren Therapieerfolg haben, wenn Sie selbst eher eine abhängige Persönlichkeit sind und Ihre TherapeutIn, anders als Sie selbst, auf Autonomie bestrebt ist. Dominanz und Dogmatismus der behandelnden Person spielen wahrscheinlich keine Rolle, wahrscheinlich auch nicht deren Offenheit oder Flexibilität. Umso wichtiger scheint die eigene psychische Gesundheit der behandelnden Person zu sein: Es konnte nachgewiesen werden, dass psychisch gestörte TherapeutInnen sogar zu einer Symptomverstärkung in der PatientInnen-Arbeit beitragen können! Was das Ausmaß an Eigenerfahrung und -therapie von PsychotherapeutInnen anbelangt, spielt ersteres wahrscheinlich nur eine geringfügige Rolle für den Therapieerfolg - auch wenn in Österreich langjährige Selbst-Therapie eine notwendige Vorbedingung für den erfolgreichen Abschluss der Psychotherapie-Ausbildung darstellt. Was die persönlichen Werte und Einstellungen Ihrer TherapeutIn anbelangt, so können Sie davon ausgehen, dass Ihre BehandlerIn aller Wahrscheinlichkeit nach Ansichten hat, die von den Ihren abweichen. PsychotherapeutInnen, die Gewicht auf intellektuelle Ziele und persönliche Anstrengung legen, sind tendenziell erfolgreicher als jene, denen finanzieller und sozialer Status wichtig sind. Außerdem ist es - im Sinne der Ergebniserwartung - ein positives Zeichen, wenn Sie sich im Lauf der Behandlung die eine oder andere Sichtweise Ihrer TherapeutIn aneignen. Wenn Sie praktizierend religiös sind, könnte es den Wirksamkeitsstudien zufolge sogar besser sein, sich eine nicht-religiöse BehandlerIn auszusuchen. Achten Sie auch darauf, dass Ihre PsychotherapeutIn unkonventionelle Sichtweisen hat - beispielsweise, was die sexuelle Ausrichtung oder andere, umstrittene Themen anbelangt - unkonventionelle BehandlerInnen verhelfen nämlich oft zu besseren Therapieerfolgen als konventionelle. Sollten Sie schließlich gemeinsam mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, so scheint es vorteilhaft zu sein, wenn Ihre PsychotherapeutIn ungefähr denselben sozio-ökonomischen Status aufweist wie Sie selbst (d. h., in Einkommen und Besitz ungefähr vergleichbar mit Ihnen ist).
Ausbildungsgrad, klinische Erfahrung und persönlicher Stil
Der Ausbildungsgrad und die klinische Erfahrung führen nicht unbedingt zu besseren Therapieerfolgen; vielmehr erzielen behandelnde Personen mit einem hohen Ausbildungsgrad (beispielsweise einem abgeschlossenen Psychologie- oder Medizinstudium) und viel klinischer Erfahrung nur dann bessere Erfolge, wenn Behandlungen kürzer als 12 Sitzungen andauern; die Erfolgsquote ist auch dann besser, wenn Sie schwerwiegende psychische Probleme haben (wie eine schwere Depression oder eine Persönlichkeitsstörung). Ganz allgemein scheinen PsychotherapeutInnen mit hohem Ausbildungsgrad und viel klinischer Erfahrung besser befähigt, mit Ihnen eine solide Vertrauensbasis (in der Fachsprache heißt das “therapeutische Beziehung”) aufbauen zu können; letztere hat von allen untersuchten Variablen den höchsten Zusammenhang mit dem therapeutischen Erfolg. Seien Sie achtsam, wie Ihre PsychotherapeutIn darauf reagiert, wenn Sie selbst dominant sind: Es scheint im Sinne des Therapieerfolgs nämlich förderlich zu sein, wenn Ihr Gegenüber sich dann gewissermaßen (zumindest vorübergehend) unterzuordnen weiß. Um die Effektivität der Behandlung zu erhöhen, sollte Ihre PsychotherapeutIn (im Sinne einer manualisierten Herangehensweise) strukturiert, transparent und organisiert arbeiten; eine solche Arbeitsweise erhöht die Aussicht auf Erfolg. Es scheint auch einen negativen Zusammenhang zwischen Direktivität und Erfolgsaussichten zu geben: Das bedeutet, dass Sie auf “Ratschläge” oder “Hinweise” achten sollten, wie Sie sich aus Sicht der TherapeutIn in dieser oder jener Situation verhalten oder fühlen sollten. Behandelnde Personen, die solche erteilen, sind nämlich oft weniger effizient als nicht-direktive BehandlerInnen! Ein sehr vielversprechendes Zeichen im Sinne eines guten Therapieerfolgs scheint schließlich die Selbstöffnung der PsychotherapeutIn zu sein - ohne natürlich dabei den Rahmen zu sprengen und sich selbst in Szene zu setzen; denn, in der psychotherapeutischen Einheit geht es schließlich um Sie und nicht um die Person der BehandlerIn.
Therapeutische Beziehung, Fachrichtung und Erwartungshaltung
Von den untersuchten Variablen ist die therapeutische Beziehung wahrscheinlich die vielversprechendste: Wenn Sie sich beispielsweise bereits am Ende der zweiten Sitzung von Ihrer TherapeutIn verstanden fühlen, Sie beide ähnliche Ansichten zur therapeutischen Vorgehensweise haben und Sie von innen heraus bereit sind, sich auf den therapeutischen Prozess einzulassen, dann können Sie auch davon ausgehen, dass Sie bereits nach sechs Monaten Behandlungsdauer eine deutliche Linderung Ihrer Symptome erfahren werden. Wärme, Respekt, Ermunterung und Interesse aufseiten der PsychotherapeutIn scheinen dabei grundlegende Merkmale zu sein, auf deren Vorhandensein Sie achten sollten. Eine positive Erwartung scheint einen guten Therapieerfolg ebenfalls zu begünstigen - vor allem, wenn sich Ihre eigenen Erwartungen mit denen der TherapeutIn decken. Ein abschließender Befund der Psychotherapieforschung besteht schließlich darin, dass es ziemlich gleichgültig ist, welcher therapeutischen Schule Ihre PsychotherapeutIn angehört; Sie können getrost eine Analytikerin wählen, eine Verhaltenstherapeutin oder auch eine Existenzanalytikerin. Wenn die therapeutische Schule eine Rolle spielt, dann nur in Abhängigkeit von der psychischen Störung, die Sie behandeln lassen möchten.
Literatur
Beutler, L. E., Machado, P. P. P., & Neufeldt, S. A. (1994). Therapist variables. In A. E. Bergin (Hrsg.), Handbook of psychotherapy and behavior change (S. 229-269). New York: Wiley.
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