Borderline im Fokus - aus Selmas Sicht
Im Feld der Psychotherapie passiert es manchmal, dass ein/-e TherapeutIn in die Rolle der/des Forscherin/-s schlüpft. Dies kann dann passieren, wenn ein therapeutischer Prozess besonders glückt und eine von psychischer Störung betroffene Person Einblick in ihren persönlichen Umgang eröffnet, der zur Wende ihres Leidenszustands führte. Kürzlich wurde mir die Gelegenheit eröffnet, eine von Borderline betroffene Person zu befragen und zu verstehen, was nachhaltige Veränderung in ihre Lebenssituation brachte. Die Punkte, die im nachfolgenden Blog beschrieben sind, veröffentliche ich sinngemäß, nach thematischen Schwerpunkten geordnet und mit dem Wissen und der Einwilligung der betroffenen Person, die ich - aus Gründen der Anonymität - Selma nennen werde. Selma war zum Zeitpunkt des Gesprächs 25 Jahre alt und arbeitete im Gesundheitswesen.
Kontrolle des sozialen Umfelds
Selma betonte zu Beginn des Gesprächs die Wichtigkeit, offen über die eigenen Gefühle sprechen zu können. Es sei jedoch keineswegs zielführend, mit jeder beliebigen Person persönliche Gefühle auszutauschen. Stattdessen schlug Selma vor, sich die Personen genau auszusuchen, denen gegenüber man sich öffnet.
Wenn es unerlässlich sei, die Menschen des eigenen sozialen Umfelds einer persönlichen Überprüfung zu unterziehen und für sich selbst zu entscheiden, wer einem guttut und wer nicht, dann müsse diese auch die eigene Familie und den engsten Freundeskreis mit einbeziehen. Wann immer Kontakte nicht gänzlich abgebrochen werden können oder dies nicht zielführend sei, können diese doch zumindest zeitlich eingeschränkt werden.
Selma betonte auch die Wichtigkeit, die Diagnose “Borderline” umzudefinieren bzw. für sich selbst neu zu bewerten: Borderline ist ein Bündel an Eigenschaften, die u. a. Impulsivität, Leeregefühle, Depression und Trauer oder die Eigenschaft subsumiert, mit anderen Menschen übermäßig “mitzuschwingen”. Anstatt “über die Störung” oder “über die Krankheit” zu sprechen, sei es wichtig, die Stärken und Schwächen zu verstehen, die mit jeder dieser einzelnen Eigenschaften einhergehen: Anstelle der Aussage “Ich bekomme es wegen meiner Störung nicht hin!” würde beispielsweise die Aussage rücken: “Es fällt mir schwer, gegenwärtig nicht meinen Impulsen Raum zu geben!”
Mentalisation
Zum Thema Mentalisation habe ich bereits einen Blog verfasst, wovon Selma zum Zeitpunkt unseres gemeinsamen Gesprächs nichts wusste. Umso überraschter war ich, als sie spontan die Wichtigkeit betonte, sich selbst eingehend zu beobachten und dadurch besser zu verstehen.
Vor allem das Schwarz-Weiß-Denken gelte es, sich abzugewöhnen. Als Technik nannte sie u. a., Post-It Sticker im ganzen Haus aufzukleben, die sie immer wieder auf das Thema und auf ihr persönliches Ziel hinweisen würden; oder, sie machte Tagebucheinträge, und als sie diese Wochen oder sogar Monate später las, war sie von den Zeilen so überrascht, dass es ihr leicht fiel, sich von sich selbst zu distanzieren und sich selbst zu sagen: “Das bin ja gar nicht ich, die das geschrieben hat!”
Aber wer war sie? Eng mit dieser Frage verwoben beschrieb Selma die Wichtigkeit der Selbstbetrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven. Beispielsweise die Frage, wie eine Freundin oder ein Freund sie wahrnehmen würde; oder die Mutter; oder die Schwester.
Umgekehrt ging sie dazu über, sich immer seltener als eine von Borderline betroffene Person vorzustellen (was im Gegensatz zur Vergangenheit stand). Eine Sichtweise besagt nämlich, dass Sprache auch Wirklichkeit schafft, und indem wir uns selbst in sozialen Situationen vorstellen, erneuern und bestärken wir wiederholt unser Bild von uns selbst in den Augen anderer - selbst oder gerade dann, wenn letzteres das einer von Borderline betroffenen Person ist.
Emotionskontrolle
Selma beschrieb die durch die Störung bedingte Schwierigkeit, sich von den Emotionen anderer Menschen zu distanzieren und sich nicht von diesen “mitreißen” zu lassen.
Damit eng verwoben betonte sie, wie wichtig es sei, die eigenen Gefühle von Schmerz und Trauer nicht überzubewerten: Damit gewissermaßen die eigenen, negativen Gefühle zu relativieren bzw. auszuhalten und sich stattdessen auf all jene Eigenschaften zu besinnen, die sie an sich selbst als konstant und konstruktiv erlebte.
Stärkung der persönlichen Ressourcen
Aus Selmas Sicht war es besonders wichtig, sich die Hoffnung auf Verbesserung zu erhalten: Das insgeheime Wissen, dass auch der schwärzeste und düsterste Moment zeitlich begrenzt sein und vorübergehen würde.
Als Techniken beschrieb Selma Meditationen rund um die Selbstliebe und die eigene Körperlichkeit. In ihren Meditationsübungen würde sie sich beispielsweise auf den eigenen Körper fokussieren, oder sie würde sich auf die Dinge konzentrieren, für die sie dankbar sei oder für die sie sich selbst liebe.
Urheberrechtshinweis: Der Text auf dieser Seite wurde von mir persönlich verfasst und unterliegt urheberrechtlichem Schutz ©.